2017 Ausstellung „Zugedeckelt oder Abgedeckelt, Steine, Seepferdchen und mehr“

Steine, Seepferdchen und mehr

Eröffnungsansprache der Vernissage 2017

Ich möchte ein paar Worte besonders zu komplexen Traumatisierungen und den Folgen erwähnen:

Der Satz: „Ich wurde traumatisiert“ wird meiner Meinung nach umgangssprachlich viel zu schnell in den Mund genommen. Wenn zum Beispiel ein Hotel gebucht wird und dort ungute Situationen sind, wie z.B. Baulärm oder ein Blick auf das Nachbarhaus, dann ist das kein Trauma.

Erst wenn Flucht und Kampf in einer als lebensbedrohlich empfundenen Situation nicht möglich sind und eine Erstarrung unter dem Gefühl, hilflos ausgeliefert zu sein, vorhanden ist, handelt es sich um ein Trauma.

Wenn Gewalt über viele Jahre bis Jahrzehnte geschieht, besonders in der frühen Kindheit, handelt es sich als Folge um eine komplexe Posttraumatische Belastungsstörung, die viele Symptome mit sich bringen kann. Diese Folgen, die als Folgestörungen benannt werden, erschweren das Leben einer traumaüberlebenden Person erheblich. Es handelt sich hierbei um eine strukturelle Dissoziation (Abspaltung von Persönlichkeitsanteilen).

Manchmal kann über Jahre ein Funktionsmodus aufrecht gehalten werden, das heißt: Muttersein, arbeiten, Haus bauen oder ähnliches, bis ein Zusammenbruch auftritt und damit die oft unterschiedlichen Folgestörungen sichtbar werden.

Es gibt neben Depressionen, Panikattacken, Erstarrungen, die, wie Lähmungen aussehen, oder Anfällen, die äußerlich epileptischen Anfällen ähneln, Selbstverletzungen, Sehstörungen, Wortfindungsstörungen, Desorientierung, Depersonalisierung, Schmerzstörungen und vieles mehr. Dazu liegt auch ein Flyer aus.

Es kann zu Switchen kommen, d.h. zu Wechseln in der Persönlichkeitsstruktur. Diese abgespaltenen Persönlichkeitsanteile haben beim Überleben in der damaligen Gewaltsituation geholfen, und sie wissen nicht, dass sie jetzt nicht mehr in der damaligen Gewalt sind und reagieren auf verschiedenste Schlüsselreize, auch Trigger genannt. So kann es sein, dass immer wieder die schlimme Gewalt von damals durchlebt wird, körperlich, seelisch und geistig. Dadurch kann bei einer betroffenen Person die Alltagskompetenz erschwert oder sogar gänzlich weggebrochen sein.

Ich hoffe, dass die spätere Lesung des Buches: „Mathilde oder Vier Freunde oder Die Suche und der Haken“ „spielerisch“ die Folgen deutlicher machen wird. Ein gutes Beispiel sind auch meine Bilder, durch die Dissoziationen sind durchaus Unterschiede in der Bildsprache zu erkennen.  

Betonen möchte ich, dass eine strukturelle Dissoziation und somit die verschiedensten Traumafolgen, nicht willentlich beeinflussbar sind. Das Erleben und die oftmals eingeschränkte Alltagskompetenz von Trauma-Überlebenden liegen nicht an einem „verkehrten Denken“. Oft wird im Außen gesagt: „Denk doch endlich einmal positiv!“, oder: „Es ist doch schon so lange her und vorbei.“ Oftmals auch: „Du musst nur wollen!“

In meinen Augen gibt es zu wenig Hilfe für komplex traumatisierte Menschen, besonders auch für ältere. Es gibt zum Beispiel auch keine Heime für pflegebedürftige Menschen, die auf Traumafolgen ausgerichtet sind oder zumindest das Personal darauf geschult wurde. Oft werden die Menschen ruhiggestellt, da sie es nicht ertragen, wenn ein/e PflegerIn ihnen bei der Körperpflege hilft. Das ist keine Würde im Alter und das oft bereits in jungen Jahren erfahrene Leid nimmt kein Ende oder bricht sogar wieder auf.

 Gerade auch die Anerkennung von innerfamiliärer Gewalt, die nie angezeigt wurde, wird häufig bei Ämtern, aber auch Freunden und in der Familie nicht anerkannt. Es besteht noch immer eine hohe Verleugnung in der Gesellschaft. Und das, obwohl Organisationen, Fraueninstitute wie der Frauennotruf schon einiges bewirkt haben. Dass es heute überhaupt Hilfe gibt, durch Beratungen, Hilfstelefonnummern und andere, verdanken wir auch Institutionen wie „Frauen helfen Frauen“ oder auch den Frauennotrufen und anderen (der Opferhilfe, Weißer Ring, Frauenhäusern…)

Aber eine Frau muss es erst einmal schaffen, sich Hilfe zu holen, von Kindern ganz zu schweigen! Denn oft sind die verletzten und sexuell ausgebeuteten Kinder später auch die Frauen, die wieder Gewalt erfahren. Die Trauma-Überlebenden fühlen sich oft alleine – oft sind sie es auch -, und meine Erfahrung ist, dass mehr und vor allen Dingen andere Hilfe nötig wäre. Seelisch verletzte Menschen, die eine Betreuung haben, werden mehr und mehr in Gruppen „gezwungen“, da Einzelbetreuungen eingespart werden. Hierbei bleiben besonders traumatisierte Menschen auf der Strecke.

Außerdem werden im Außen oft Vergleiche gezogen, dass z.B. in Afrika in einem „Mädchenheim zur Verhinderung von Beschneidungen“ so viel Freude und Kraft bei den Kindern und Frauen spürbar ist, und hier bei uns immer nur gejammert wird.  Ich möchte in keiner Weise diese Not wegmachen oder die Not vergleichen. Not ist Not, wie auch Leid Leid ist.

Der Unterschied ist aber, dass eine „gemeinsame Not“ ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen lassen kann und die Not im außen gesehen wird. Diese „Anerkennung des Leides“ ist so wichtig für Betroffene. Innerfamiliäre Gewalt ist oft nicht sichtbar; und die Betroffenen müssen oft schweigen, weil sie bedroht werden. Die hieraus entstehende Einsamkeit ist unaushaltbar, da niemand da ist, der die Not wahrnimmt; und somit keine Unterstützung für die Betroffenen entsteht. Das geschieht oft über Jahre bis Jahrzehnte.  Hinzu kommt, dass oft natürlich ein Funktionieren der Betroffenen im Außen „verlangt“ wird. Es darf nicht sichtbar werden. Schule, Arbeit und alles andere muss weitergehen.

Dieses Leid möchte ich unter anderem mit dem Thema „Zugedeckelt oder Abgedeckelt“ sichtbar machen.

Ich bin selbst Betroffene und möchte nun die Stiftung erwähnen „Netzwerk Trauma-Nest und Seelenflug“, bei der ich Stiftungsfrau bin. Diese Stiftung unterstützt traumatisierte Menschen durch Übernahme von Therapiekosten bei entsprechenden Voraussetzungen. Es liegen Stiftungskarten aus, darin sind Einzelheiten erkennbar. Es kamen so viele Neuanträge von Betroffenen, dass nun gerade leider keine neuen Therapien bewilligt werden können. Über Spenden oder Zustiftungen würden wir uns freuen.

Bevor wir nun den Tag fortsetzen und uns dem „Zugedeckelt oder Abgedeckelt, Steinen, Seepferdchen und mehr“, auch dem Kuchen und Tee oder Kaffee zuwenden, möchte ich mich herzlich beim gesamten Bella Donna Haus-Team und Frauen helfen Frauen-Team bedanken. Ich freue mich sehr, in diesem Haus wieder ausstellen zu können, zu diesem wichtigen Internationalen Tag: „Nein zu Gewalt an Frauen“. Danke für die Herzlichkeit und Unterstützung!

Allen Helfern und Helferinnen, die mir beim Aufbau und der Vorbereitung und der Deckelbeschaffung geholfen haben: Danke! Einen besonderen Dank möchte ich heute auch an Horst aussprechen, der mir oft als einziger im Alltag hilft, mich ständig fährt, immer einkauft, auch nachts da ist, wenn ich in Not bin. Danke!

Über eine Rückmeldung im Gästebuch würde ich mich sehr freuen. Ich weiß, dass viele Menschen nicht gerne hineinschreiben, für mich ist es aber in „dunkleren und einsamen Zeiten“ sehr hilfreich.   

Wenn ich in der Lage bin, würde ich mich heute auch über persönliche Rückfragen oder Gespräche freuen.

Nun wünsche ich Ihnen, Euch und uns einen guten Nachmittag.