2019 Ausstellung „Zugedeckelt oder Abgedeckelt, Steine, Seepferdchen und mehr“

Steine, Seepferdchen und mehr

Liebes Cafelièr-Team, liebe Freunde, liebe Gäste,

diesen Text habe ich bereits vor der Vernissage geschrieben, damit ich nicht wieder nur versuche zu funktionieren und am besten noch versuche alles frei vorzutragen.

Es mag paradox erscheinen, dass ich eine Ausstellung vorbereite, hier anwesend bin und auf der anderen Seite oftmals noch nicht einmal einen Liter Milch kaufen kann, geschweige denn dazu in der Lage bin, mit anderen Menschen leicht in Kontakt zu treten. Obwohl es in der letzten Zeit scheinbar etwas besser gelingt als die Jahre zuvor.

Auch möchte ich erwähnen, als ich diese Ausstellung anmeldete, war ich Schirmfrau der Stiftung „Netzwerk Trauma-Nest und Seelenflug“. Diese Stiftung, die ich mit ins Leben rief, hatte als Grundlage und Idee, die Selbstbestimmung für betroffene Menschen zu stärken, indem Anträge für Hilfen, seien es Therapien, Trauma Hunde, etc. gestellt werden konnten. Ich habe mehrere Ausstellungen somit in erster Linie als Schirmfrau und dann erst als Künstlerin gemacht und versucht die Stiftung bekannter zu machen und diese betroffenen Menschen und HelferInnen nahe zu bringen. Und das aus vollstem Herzen über mehrere Jahre. Ich hatte weitere Ideen, zum Beispiel in Pflegeheimen „Räume für Traumatisierte zu schaffen etc.

Nun ist es so, dass die Stiftung sich in einer Änderung befindet. Sie wird künftig „Frauen helfen Frauen“ in Bad Oldesloe unterstützen. Das ist sicherlich auch sehr gut und hilfreich, denn das Bella Donna Haus, indem sich der Verein „Frauen helfen Frauen“ befindet, ist ein guter Ort für Frauen. Aber der Stiftungsansatz, nämlich die Selbstbestimmtheit Betroffener zu stärken und das Deutschlandweit – ist damit leider nicht mehr der Stiftungsinhalt.

So wusste ich monatelang nicht, ob ich weiterhin Schirmfrau bleibe, da durch diese Umstellung sich meine Aufgabe auch aufgelöst zu haben schien – und so fühlte ich mich doch längere Zeit sehr verloren bei den Vorbereitungen für diese Ausstellung. Zumal meine wichtige Lebensaufgabe und damit mein Sinn weggebrochen war. Denn plötzlich bin ich vielleicht „nur noch eine Betroffene“. Als Schirmfrau sah ich es als einen Auftrag an, neben der Herzensangelegenheit. Aber ich bin im Gespräch mit „Frauen helfen Frauen“, von denen auch hier einige anwesend sind, was mich freut, und vielleicht geht meine Aufgabe als Schirmfrau weiter, vielleicht entschließe ich mich aber auch, einfach wieder Künstlerin zu sein und eigene Wege zu gehen. Das wird die Zeit zeigen.

Nun ist es aber so, dass nach wie vor die vielen unterschiedlichen Traumafolgen bekannter gemacht werden sollten und von daher bin ich heute trotzdem hier.

Ich möchte nun ein paar Worte besonders zu komplexen Traumatisierungen und den Folgen erwähnen:

Der Satz, „ich wurde traumatisiert“, wird meiner Meinung nach umgangssprachlich viel zu schnell in den Mund genommen. Wenn z.B. ein Hotel gebucht wird und dort ungute Situationen sind, wie Baulärm oder ein Blick auf das Nachbarhaus, dann ist das kein Trauma.

Erst wenn Flucht und Kampf in einer als lebensbedrohlich empfundenen Situation nicht möglich sind und eine Erstarrung unter dem Gefühl hilflos ausgeliefert zu sein, vorhanden ist, handelt es sich um ein Trauma.

Wenn Gewalt über viele Jahre bis Jahrzehnte geschieht, besonders in der frühen Kindheit, handelt es sich als Folge um eine komplexe Posttraumatische Belastungsstörung, die viele Symptome mit sich bringen kann. Diese Folgen, die als Folgestörungen benannt werden, erschweren das Leben einer traumaüberlebenden Person erheblich. Es handelt sich hierbei um eine strukturelle Dissoziation (Abspaltung von Persönlichkeitsanteilen).

Manchmal kann über Jahre ein Funktionsmodus aufrecht gehalten werden, d.h. Muttersein, arbeiten, Haus bauen etc., bis ein Zusammenbruch auftritt und damit die oft unterschiedlichen Folgestörungen sichtbar werden.

Es gibt neben Depressionen, Panikattacken, Erstarrungen, die wie Lähmungen aussehen oder Anfällen, die äußerlich epileptischen Anfällen ähneln, Selbstverletzungen, Sehstörungen, Wortfindungsstörungen, Desorientierung, Depersonalisierung, Schmerzstörungen und noch vieles mehr. Dazu liegt auch ein Flyer aus.

Es kann zu Switchen kommen, d.h. zu Wechseln in der Persönlichkeitsstruktur. Diese abgespaltenen Persönlichkeitsanteile haben beim Überleben in der damaligen Gewaltsituation geholfen und sie wissen nicht, dass sie jetzt nicht mehr in der damaligen Gewalt sind und reagieren auf verschiedenste Schlüsselreize, auch Trigger genannt. So kann es sein, dass immer wieder die schlimme Gewalt von damals durchlebt wird, körperlich, seelisch und geistig. Dadurch kann bei einer betroffenen Person die Alltagskompetenz erschwert oder sogar gänzlich weggebrochen sein.

Ich hoffe, dass die spätere Lesung des Buches: „Mathilde oder Vier Freunde oder Die Suche und der Haken“ „spielerisch“ die Folgen deutlicher machen wird. Ein gutes Beispiel sind auch meine Bilder. Durch die Dissoziationen sind durchaus Unterschiede in der Bildsprache zu erkennen.  

Betonen möchte ich, dass eine strukturelle Dissoziation und somit die verschiedensten Traumafolgen, nicht willentlich beeinflussbar sind. Das Erleben und die oftmals eingeschränkte Alltagskompetenz von Traumaüberlebenden liegt nicht an einem „verkehrten Denken“. Oft wird im Außen gesagt: „Denk doch endlich einmal positiv!“, oder: „Es ist doch schon so lange her und vorbei.“ Oftmals auch: „Du musst nur wollen!“

In meinen Augen gibt zu wenig Hilfe für komplex traumatisierte Menschen, besonders auch für ältere. Es gibt z.B. auch keine Heime für pflegebedürftige Menschen, die auf Traumafolgen ausgerichtet sind oder zumindest das Personal darauf geschult wurde. Oft werden die Menschen ruhiggestellt, da sie es nicht ertragen, wenn ein/e PflegerIn ihnen bei der Körperpflege hilft. Das ist keine Würde im Alter und das oft bereits in jungen Jahren erfahrene Leid nimmt kein Ende oder bricht sogar wieder auf.

 Gerade auch die Anerkennung von innerfamiliärer Gewalt, die nie angezeigt wurde, wird häufig bei Ämtern, aber auch Freunden und in der Familie nicht anerkannt. Es besteht noch immer eine hohe Verleugnung in der Gesellschaft. Und dass, obwohl Organisationen, Fraueninstitute wie z.B. der Frauennotruf schon einiges bewirkt haben. Das es heute überhaupt Hilfe gibt, durch Beratungen, Hilfstelefonnummern etc. verdanken wir auch Institutionen wie z.B. den Frauennotrufen, Frauen helfen Frauen in Bad Oldesloe und anderen (der Opferhilfe, Weißer Ring, Frauenhäusern…)

Aber eine Frau muss es erst einmal schaffen sich Hilfe zu holen, von Kindern ganz zu schweigen! Denn oft sind die verletzten und sexuell ausgebeuteten Kinder später auch die Frauen, die wieder Gewalt erfahren. Die Trauma-Überlebenden fühlen sich oft alleine – oft sind sie es auch – und meine Erfahrung ist, dass mehr und vor allen Dingen zusätzlich andere Hilfen nötig wären. Seelisch verletzte Menschen die eine Betreuung haben, werden mehr und mehr in Gruppen „gezwungen“, da Einzelbetreuungen eingespart werden. Hierbei bleiben besonders traumatisierte Menschen auf der Strecke.

Außerdem werden im Außen oft Vergleiche gezogen, dass z.B. in Afrika in einem „Mädchenheim, zur Verhinderung von Beschneidungen“ so viel Freude und Kraft bei den Kindern und Frauen spürbar ist und hier bei uns immer nur gejammert wird.  Ich möchte in keiner Weise diese Not wegmachen oder die Not vergleichen. Not ist Not, wie auch Leid, Leid ist.

Der Unterschied ist aber, dass eine „gemeinsame Not“, ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen lassen kann und die Not im außen gesehen wird. Diese „Anerkennung des Leides“ ist so wichtig für Betroffene. Innerfamiliäre Gewalt ist oft nicht sichtbar und die Betroffenen müssen oft schweigen, weil sie bedroht werden. Die hieraus entstehende Einsamkeit ist unaushaltbar, da niemand da ist, der die Not wahrnimmt und somit keine Unterstützung für die Betroffenen entsteht. Das geschieht oft über Jahre bis Jahrzehnte.  Hinzu kommt, dass oft natürlich ein Funktionieren der Betroffenen im Außen „verlangt“ wird. Es darf nicht sichtbar werden. Schule, Arbeit etc. muss weitergehen.

Dieses Leid möchte ich unter anderem mit dem Thema „Zugedeckelt oder Abgedeckelt“ sichtbar machen. Ich bin selbst Betroffene.

Bevor wir nun den Abend fortsetzen und uns dem „Zugedeckelt oder Abgedeckelt, Steinen, Seepferdchen und mehr“, auch den hoffentlich guten Gesprächen zuwenden, möchte ich mich herzlich beim gesamten Cafelier-Team bedanken.

Allen Helfern und Helferinnen, die mir beim Aufbau und der Vorbereitung und der Deckelbeschaffung geholfen haben: Danke

Ich würde mich heute auch über persönliche Rückfragen oder Gespräche freuen.

Nun wünsche ich Ihnen, Euch und uns einen guten Abend.